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Wie lange dauert eigentlich so eine Einstellung von Personal und was kostet das? Denn schließlich gilt auch im Recruiting Zeit ist Geld. Also ist die "time to hire" auch ein Teil der "cost to hire". Eine leere Position nach einer Kündigung oder einem Renteneintritt wieder zu besetzen, bedeutet in großen Unternehmen, dass die Kollegen einen ordentlichen Mehraufwand abfangen müssen und bei kleineren Unternehmen vielleicht sogar das Absagen ganzer Projekte, weil die Arbeitskraft einfach nicht vorhanden ist. Daher werfe ich heute mal einen Blick auf die Recruitingzeit für eine einzelne Stelle bei einem Kleinunternehmen ohne Hiring Manager und die Konversionsraten, die natürlich auch bares Geld wert sind.

 

Eine kurze Einheit Mathematik für Recruiter.

Ich liebe Zahlen, Excel, dreidimensionale Koordinatensysteme mit Vektoren und mein Mathelehrer hat mich damals gefragt, ob ich wirklich was mit Marketing machen wolle. Er sah mein Talent verschwendet. Mein damaliger Berufswunsch war ein anderer. Ich wollte für Coca-Cola so eine geile Werbekampagne managen und habe mich für ein Wirtschaftswissenschaften Studium in Frankfurt eingeschrieben. (Nebenbei: Ich hasse Cola - wäre also nicht so ganz mein Job gewesen.)

Es kam natürlich etwas anders als geplant, denn während meines Studiums habe ich meine Leidenschaft für das Personalwesen entdeckt. Und in diesem Bereich gibt es einiges mit Zahlen (Personalcontrolling, Vergütung…), doch das Marketing hat mich auch nicht losgelassen. Somit versuche ich immer das Analytische mit dem hübschen Marketing zu verbinden.


1. Stunde: Was kostet es mich an Zeit eine Person auszuwählen? (time to hire in Kleinunternehmen)

Als mich im Jahre 2019 mein Freund Kai ansprach, ob ich ihm bei seiner „kleinen“ Challenge helfen könnte, sein Unternehmen in den nächsten 2 Jahren von 5 auf 20 Personen wachsen zu lassen, habe ich als Erstes durchgerechnet, was ihn das kostet... und zwar Zeit. Viel Zeit.

Zunächst spiele ich das für eine Person durch und nutze dafür die Rückwärtsinduktion aus der Spieltheorie (wenigstens für crazy Wörter war das Studium sinnvoll 😉). Die Zahlen sind völlig aus der Luft gegriffen, wenn nicht anders gekennzeichnet. Denn bei den meisten Unternehmen und bei den meisten Personalauswahlverfahren ist das je nach Stelle komplett unterschiedlich.

Für eine neue Einstellung benötige ich 3 Interviews von jeweils einer Stunde. Auf alle bereite ich mich mindestens eine halbe Stunde vor (Terminfindung, Lebenslauf nochmal lesen, etc). SUMME: 4,5 Stunden

Für 3 Interviewkandidaten benötige ich 10 Bewerbungen, die ich mir alle für 5 Minuten ansehe und die besten 5 davon lese ich intensiver für weitere 10-15 Minuten. Wer das nicht so oft macht oder nicht so viele Bewerbungen hat, wird sich vermutlich mehr Zeit nehmen. SUMME: mindestens 2 Stunden

Damit sind wir bei 6,5 Stunden, die ich nur für Screening und Interviews für eine einzige Einstellung benötige. Und die Zahlen sind positiv angenommen. Insgesamt gehe ich eher von mehr Zeit aus, da die 10 Bewerbungen ja auch eine gewisse Qualität haben müssen. Wenn ich 20 Bewerbungen bekomme, möchte ich vermutlich auch nicht mehr als 3 Interviews führen. Dennoch brauche ich 100 Minuten für die Erstdurchsicht.

Diese Stunden sind allein für die Personalauswahl notwendig. Die echte "time to hire" wird für gewöhnlich als Zeitraum zwischen Ausschreibung und Besetzung der Stelle ermittelt. Die Arbeitszeit, die hinter der Personalauswahl steht, ist somit zwar im weiteren Sinne eine time to hire, sollte allerdings in die cost to hire einfließen.

Kai habe ich also erklären müssen, dass er für die aktive Auswahl seiner neuen Mitarbeiter 15 Arbeitstage mit Lebensläufen, Interviews und Anschreiben verbringen wird. Zeit, in der er sich nicht um seine Kunden oder aktuellen Mitarbeiter kümmern kann. Glücklicherweise hat er sich über die Erkenntnis gefreut, denn jetzt war klar, wo er im Prozess ansetzen muss.

 

2. Stunde: Der Personalmarketing-Trichter – engl. Candidate Funnel

Der interessante Teil geht den Interviews voraus: Wie komme ich an 10 Bewerbungen auf meine ausgeschriebene Stelle?

Hier kommt die sogenannte Konversionsrate (engl. Conversion Rate) ins Spiel: Wie viele Personen müssen meine Stellenanzeige sehen, damit sich 10 Personen bewerben? Hier brauche ich bei einer Konversionsrate von 2%* 500 Personen, die meine Stellenanzeige lesen.

Damit mir keine Bewerber im Prozess verloren gehen, habe ich natürlich einen besonders schlanken Bewerbungsprozess und kann somit die Absprungrate von interessierten Kandidaten deutlich verringern. (ohne vorherige Registrierung, Ausfüllen von seitenlangen Bewerbungsbögen und anderen Zeit- und Nervenfressern)

Eine Stellenanzeige mit realistischen Erwartungen erhöht zusätzlich die Passung der Bewerbungen, was die Zeit für die Durchsicht verringert. Somit steht in meiner Jobbeschreibung und meinen Erwartungen an die Kandidaten so viel Interessantes wie nötig, dennoch so wenig wie möglich. Es nützt ja nichts, wenn Interessierte nach der Hälfte abbrechen zu lesen, weil die Anzeige schlicht zu lang ist.

Damit 200 Personen meine Stellenanzeige lesen, müssen sich 2000 Personen auf meine Karrierewebsite verirren und hoffentlich von den authentischen Inhalten so überzeugt sein, dass sie auch auf die Anzeige klicken. (25% Konversionsrate) Die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht sich, wenn die Stellen gut sichtbar platziert sind, denn schließlich ist der/die Suchende schon auf der Seite für die Jobs und Karriere.

Damit sich 2000 Personen auf meine Karrierewebsite bewegen, sollte diese auf all meinen Unternehmensauftritten sehr präsent sein. Insbesondere der Karrierebutton auf der Hauptnavigation meiner Homepage darf nicht fehlen. Sowohl in der Desktop- als auch in der mobilen Version dürfen – ja müssen - alle Besucher über Jobs stolpern, denn sie könnten ja potenzielle neue Mitarbeiter sein… immerhin haben sie schon Interesse am Produkt.

Um nun zum Faktor Zeit und time to hire zurück zu kommen: Wie lange benötigst DU, um 2000 Personen mit mindestens latenter Absicht, eine Bewerbung abzuschicken, auf Deine Karrierewebsite zu bekommen? Oder bei wenig Traffic auf der Karriereseite und gleichzeitigen Postings auf Jobbörsen: Wie lange dauert es, bis 500 Personen Dein Jobangebot angeklickt haben?


*Glocke* Die Mathe-Stunde ist für heute vorbei. 

Hausaufgabe *stöhn*: Schau Dir doch mal Deine Konversionsraten an? Kannst Du diese auswerten? Wenn nein, was musst Du tun, damit Du das herausbekommst?

Dieses kleine Modell kannst du gerne für dich nutzen und gerne auch deine Bewerbungsquellen erweitern:

Trichtermodell der Candidate Journey

*https://wollmilchsau.de/glossar/personalmarketing-trichter/


3. Stunde: Der Zeitstrahl in größeren Unternehmen

Im Podcast "Recruiting Basics - Einfach, klar, praxisnah" von und mit Stefan Berndt und Artur Reich habe ich in Folge Nr. 4 besonders gut hingehört und festgestellt, dass der Zeitstrahl, der dort erwähnt wird, perfekt in diesen Matheunterricht für Recruiter passt.

Auch hier geht es um die time to hire, allerdings in Unternehmen, bei der ein Recruiter in Zusammenarbeit mit einer Fachabteilung eine Person einstellen möchte. Oft kommt ein "Auftrag" vom Hiring Manager im Recruiting an mit der Bitte, doch schnellstmöglich eine Stelle zu besetzen. Doch was heißt eigentlich "schnellstmöglich" im Recruiting und was bedeutet das für den Fachbereich?

Wie schon in der 1. Mathestunde fangen wir hinten an - wir denken den Prozess rückwärts anhand eines fiktiven Zeitstrahls.

Wir wollen am 1. Juni eine Person einstellen. In den meisten Fällen können wir von einer 3-monatigen Kündigungsfrist zum Monatsende ausgehen. Das bedeutet, dass unser Traumbewerber spätestens zum 28. Februar kündigen muss. Davor möchte die Person natürlich einen Vertrag bei dir unterschrieben haben.

Das bedeutet, dass Bewerbungsgespräche und Vertragsverhandlungen im Februar stattfinden müssen und das muss auch dem Fachbereich klar sein. Es ist nämlich wichtig, dass jemand für Gespräche verfügbar ist und sich ausreichend Zeiten im Kalender blockt. Im besten Falle werden die ersten Interviews also bereits im Januar geführt.

Dafür sollten aber auch Bewerbungen da sein. Diese können klassisch über Stellenanzeigen bei dir landen. Doch das passiert nun leider nicht von heute auf morgen. Selbst wenn wir die Daumen ganz fest drücken, sollte diese Stellenanzeige bereits im Dezember online sein, damit wir den Trichter aus der 2. Mathestunde ordentlich füllen.

Für das Screening dieser Bewerbungen muss der Fachbereich ebenfalls Zeit einplanen. Das wird gerne unterschätzt, daher sollte HR darauf hinweisen.

Damit du nur passende Bewerbungen bekommst, brauchst du eine richtig gute Stellenanzeige. Damit dir das gelingt, ist auch hier die Zusammenarbeit mit dem Fachbereich unerlässlich. Eine Arbeit- und Anforderungsanalyse und die daraus folgende Erstellung einer Stellenanzeige inklusive Rückfragen nimmt ebenfalls Zeit in Anspruch. Wir befinden uns somit bereits Anfang Dezember in der Vorbereitungsphase - für eine Stelle, die am 1. Juni besetzt wird. Hoffentlich!

Zu beachten!


Wenn du in einem sehr sehr großen Unternehmen arbeitest, dann gilt es zusätzliche Zeit einzuplanen: Hier reden wir von Bedarfsplanung, Bedarfsmeldung, Betriebsratszustimmung, Genehmigung der Ausschreibung, Genehmigung für externe Besetzungen, Einpflegen ins System und was auch immer für Prozesse bei dir ganz speziell dazukommen.

Im Podcast gibt Artur noch einen guten Hinweis zur möglichen Verkürzung der Kündigungsfrist: Junioren haben meist kürzere Kündigungsfristen oder sind bspw. nach der Ausbildung oder dem abgeschlossenen Studium schneller verfügbar.

Darüber hinaus sollte der Prozess tatsächlich von ganz hinten gedacht werden. Am 1. Juni startet das Onboarding für die eingestellte Person und dafür muss man sich ebenfalls im Fachbereich Zeit nehmen (können). Wenn das Einstellungsdatum in die Hochphase eines Projektes oder gar in die Urlaubszeit fällt, dann sollte der Zieltermin unbedingt überdacht werden.

Was ist also wichtig: Sprecht miteinander und malt euch doch einen kleinen Zeitstrahl auf. So, wie wir es alle in der Grundschule im Matheunterricht gelernt haben. Und da sag mal noch jemand, dass die Schule unwichtig sei. Pah!

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